Dass es im Club auf die richtigen Übergänge und die Laune in der Tanzmenge ankommt, wissen alle DJs und alle, die es mal werden wollen. Wie aber bespielt man eigentlich einen Biergarten korrekt? Mathias Achatz wurde unter anderem als Kapellmeister am Chinesischen Turm und Wiesn-Kapellmeister in der Ochsenbraterei über München hinaus bekannt. Wir sprechen mit ihm über Rhythmuswechsel in der Blasmusik, Crowdpleaser und den richtigen Moment für eine Viertelstunde Ruhe.
Herr Achatz – DJs überlegen sich die Dramaturgie ihrer Sets genau, das ist bekannt. Wie ist das eigentlich bei Biergartenmusik: Wie bespielt man einen Biergarten wie den am Chinesischen Turm richtig?
Ha, also das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es kommt aufs Publikum an. Das kann sich zum Beispiel schon von einem Samstag auf den anderen sehr stark unterscheiden.
Inwiefern?
Es kann etwa sein, dass da mittags echte Blasmusikfans unten sitzen, aus den Vereinen der Umgebung, aus Pöcking oder Starnberg. Die legen unglaublich großen Wert auf anspruchsvollere Blasmusik, da muss man auch mal eine Konzertpolka spielen.
Und am nächsten Samstag?
Da sind die Bänke voller Fußballfans.
Und was wollen die dann?
Die wollen 15 Mal hintereinander den „Böhmischen Traum“ hören. Richtig und falsch ist im Biergarten relativ. Man kann aber auch den „Böhmischen Traum“ sehr gut spielen.
Gibt es etwas, dass man als Biergarten-Kapellmeister am Anfang der Karriere immer falsch macht?
Schwieriger als mit dem Publikum ist es am Anfang mit den Musikern. Gute Musiker sind sensible Menschen, sonst wären sie keine guten Musiker. Schon die kleinste Kritik kann einem sehr übel genommen werden.
Wie gehen Sie mit Publikumswünschen um, die Ihnen nicht so richtig passen?
Da muss man souverän sein. Wie gesagt, wenn der „Böhmische Traum“ gefordert wird, dann wird er gespielt. Alles andere ist Unfug.
Was ist Ihr Song der Wahl, wenn die Post abgehen muss?
Dann biegen wir schon mal in die Schlagerwelt ab, „Ein Bett im Kornfeld“ funktioniert nach wie vor sehr gut.
Gibt's Vorgaben von den Wirtsleuten dazu, wie oft „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ gespielt werden muss, damit die Leute zügig ihre Maß leeren?
Nein, das ist ein Mythos, dass das „Prosit“ soundso oft pro Stunde gespielt werden muss.
Wenn man es dann spielt, tut man es aber auf Autopilot, oder?
Klar, und es wird dann auch angestoßen und getrunken. Aber bei der diesjährigen Wiesn zum Beispiel hätten wir so viele „Prosits“ spielen können, wie wir wollen, es wäre trotzdem nicht mehr getrunken worden.
Haben Sie es manchmal auch so richtig satt, das „Prosit“?
Nein, das gehört dazu. Im Gegenteil, wenn man drei oder vier Stücke gespielt hat, dann bedeutet das „Prosit“ auch, dass wieder fünf bis zehn Minuten Pause sind. Wir spielen ja viele Stunden im Biergarten, in der Regel von 12 Uhr bis 17.30 Uhr.
In welchen Momenten geht Ihnen in diesen fünfeinhalb Stunden nach 30 Jahren musikalisch noch das Herz auf?
Wenn beim Zusammenspiel alles passt, das Stück, das gerade gespielt wird, ist dann eigentlich ganz egal. Man ist dann wie in einem Fieber.
Wie oft passiert das?
Es gibt Tage, da sind es 80 Prozent der Zeit. Es gibt natürlich auch andere Tage, da ist man froh, wenn es vorbei ist.
Spielen Sie immer mit den gleichen acht Musikern am Chinesischen Turm?
Nein, das wäre schön. Ich habe einen Pool aus 70 Leuten. Die Besetzung ändert sich von einem Tag auf den anderen. Früher war das noch anders.
Wann erlauben Sie sich oder Ihren Musikern das erste Bier?
Wer bei uns mitspielt, der weiß, was los ist und trinkt ein Bier oder auch mal zwei, aber dann ist Schluss. Als ich noch Mitmusiker war, habe ich in Sachen Alkohol in Blaskapellen ein paar unschöne Dinge zu viel erlebt. Wir sind Dienstleister.
Und Sie selbst?
Höchstens einen Schluck, wenn die Chefin auf die Bühne kommt oder ein Gast Geburtstag hat.
Haben Sie sich bei Ihren Auftritten am Chinesischen Turm schon mal gedacht: Das ist schon schräg, mit einer Blaskapelle auf einem Chinesischen Turm zu sitzen?
Haha, logisch! Das denkt sich jeder, der da sitzt. Interessant ist übrigens, dass der Turm ein irrer Verstärker ist. Es kommt vor, dass man die Musik noch im Residenzgarten hört. Völlig verrückt.
Sie sind klassisch ausgebildeter Musiker, hatten Sie eigentlich je das Gefühl, im Biergarten oder Bierzelt die Kunst zu verraten?
Nein, überhaupt nicht. Man kann auch im Biergarten spielen, ohne die Kunst zu verraten. Auch einen Ballabend mit einer Galaaband kann man auf sehr, sehr hohem Niveau spielen. Und ein Symphonieorchester kann umgekehrt nicht automatisch die „West Side Story“ brillant zelebrieren. Das lernt man beim Studium der klassischen Musik nämlich nicht. Ich kenne sehr gute Orchestermusiker, die keine Polka richtig interpretieren können.
Wirklich?
Allerdings. Bei der Polka geht es stark um das richtige Gefühl. Wer da nicht reingewachsen ist, tut sich schwer. Egal, wie gut er ausgebildet sein mag. Im Grunde ist es wie beim Swing, da ist bei europäischen Musikern auch die Gefahr groß, dass es zu statisch und eckig klingt. Allein die Polka-Achtel richtig zu interpretieren, ist eine Wissenschaft für sich. Dam-da-daram-da … da haben sich schon namhafte Kapellmeister die Zähne ausgebissen. Der eine sagt, es muss klar in die 6/8-Richtung gehen, der andere, es muss gerade gespielt werden.
Und was sagen Sie?
Im Endeffekt stimmt das alles nicht ganz. Vollständig erklären kann man das nicht. Vieles ist auch noch von Region zu Region verschieden. Die Österreicher zum Beispiel spielen die Achtel ganz anders als wir in Bayern. Mährische Musiker spielen die Achtel dagegen wieder anders, sehr gerade, fast klassisch. Am Ende muss das Gefühl stimmen. Wie heißt es bei Gustav Mahler? „Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.“
Haben Sie eine Lieblingspolka?
„Wenn Heidrun erzählt“ von Franz Watz. Bisschen untypisch, aber genial gemacht.
Sie spielen auch auf dem Oktoberfest. Was ist Ihnen lieber: Biergarten oder Wiesn?
Im Biergarten ist es entspannter. Aber auf der Wiesn haben wir die ganz große Besetzung, mit E-Gitarre, E-Bass, vier Sängerinnen und Sänger. Sehr reizvoll.
Kleine schnelle Wiesnhit-Fragerunde zum Schluss. Ich nenne die größten und Sie sagen das Erste, was Ihnen dazu einfällt. „Skandal im Sperrbezirk“?
Kommt immer wahnsinnig toll an. Auch als Song aber nach wie vor gut.
„Hulapalu“?
Wir haben eine gute Version, bei der unser Sänger ins Publikum geht und eine Choreografie mit den Leuten macht. Persönlich habe ich es ein bisschen über.
„So ein schöner Tag (Das Fliegerlied)“?
Brauche ich nicht.
„Purple Rain“?
Liebe ich nach wie vor.
„Happy“?
Haben wir einmal gespielt vor ein paar Jahren, hat überhaupt nicht funktioniert. Tote Hose.
„Viva Colonia“?
Brauche ich überhaupt nicht.
Aber Sie spielen es?
Hin und wieder den Refrain nach dem „Prosit“.
Warum in Bayern eigentlich „Viva Colonia“ und nicht „Viva Bavaria“?
Habe ich nie verstanden. Geht mir aber öfter so. Ich glaube, die ganzen Wiesnhits muss man nicht verstehen.
„Weilst a Herz hast wie a Bergwerk“?
Der beste Rausschmeißer. Immer noch, wahrscheinlich für immer.
Schon mal im Traum ein „Prosit“ gehört?
Nein, noch nie.
Und? Froh darüber?
Allerdings!
Geboren 1981 in Neukirchen beim Heiligen Blut in der Oberpfalz, spielt seit seinem fünften Lebensjahr Trompete, Berufsmusiker ist er seit seinem 19. Sein Instrument studierte er am Richard-Strauß-Konservatorium in München und mit Meisterklassenabschluss an der Hochschule für Musik in Malmö. Nach einem Engagement bei den Stuttgarter Philharmonikern und einigen anderen Orchesterengagements machte er sich 2004 als Kapellmeister und Arrangeur für Blas- und Unterhaltungsmusik selbstständig. Die klassische Musik hat er nie ganz aufgegeben, vor allem aber gilt er inzwischen als einer der besten Blasmusik-Kapellmeister in und um Bayern. In München weltberühmt wurde er durch seine Auftritte im Biergarten am Chinesischen Turm, in der Ochsenbraterei auf dem Oktoberfest und als Trompetensolist beim traditionellen Platzkonzert aller Wiesnwirte unter der Bavaria.